Picardie

Die schwimmenden Gärten von Amiens

Gemüsehochbeete, von Wasser umgeben
In den schwimmenden Gärten von Amiens wird seit Jahrhunderten Gemüse angebaut (© PIXATERRA/stock.adobe.com)

Amiens, die Hauptstadt der Picardie, ist ein Muss, schon wegen ihrer gotischen Kathedrale, die zum UNESCO-Welterbe zählt. Das Viertel Saint-Leu sprüht vor Charme und Atmosphäre, und im Musée de Picardie sind zahlreiche herausragende Kunstwerke zu bestaunen. Eine Sehenswürdigkeit ganz anderer Art ist die einzigartige amphibische Welt in den schwimmenden Gärten an der Somme.

Die Hortillonages d’Amiens sind Kleingärten, die in einem 300 Hektar großen Sumpfgebiet im Osten der Stadt angelegt wurden. Abgeleitet vom lateinischen Wort hortellus für einen kleinen Garten, wurden damit seit dem 15. Jahrhundert die Nutzgärten bezeichnet, die nach der Trockenlegung des Sumpfes durch das Anlegen von Kanälen entstanden waren. Seit dem Mittelalter werden in diesen Gärten verschiedenste Gemüsearten kultiviert. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auch Torf gestochen, der nach dem Trocknen als Brennstoff diente.

Ein Dutzend Menschen sitzt in einer flachen Barke auf einem Flüsschen
Während einer Bootspartie entfaltet sich der ganze Charme der schwimmenden Gärten (© Heike Bentheimer)

Niedergang und neues Leben

Noch im 19. Jahrhundert war die Fläche der Hortillonages bedeutend größer: Bis zu 10.000 Hektar wurden einst bewirtschaftet. Damals lebten noch Tausende vom Gemüseanbau, Anfang des 20. Jahrhunderts waren es noch 250 Gemüsegärtner, heute sind es ein Dutzend, die ihren Lebensunterhalt auf 25 Hektar erwirtschaften. Die restliche Fläche sind Privatgärten der Anwohner und der Laubenpieper. Insgesamt über 1000 Besitzer teilen sich heute die 2000 Parzellen, die auf vier Gemeinden verteilt sind.

Nach dem dramatischen Niedergang der Hortillonages seit den 1950er Jahren initiierte der einheimische Fotograf Nisso Pelossof 1976 die Gründung einer Gesellschaft zur Rettung der Wassergärten. Seit 1982 organisiert diese Gesellschaft beispielsweise Fahrten mit kiellosen, etwa zehn Meter langen Barken durch das Kanalsystem und erschloss damit die Hortillonages der touristischen Nutzung. Mehr als 65 Kilometer Wasserstraßen, Gräben und Rieux genannte Kanäle ziehen sich durch die einzigartige Wasserlandschaft.

Mit den Barken, wegen ihrer aufgebogenen Enden Hornbarken genannt, gingen die hortillons, wie man die Gärtner nennt, ihrer Arbeit nach und brachten ihre Waren zum Verkauf an den Kai an der Place Parmentier. Einmal im Jahr, im Juni, findet der Verkauf wie früher als schwimmender Markt statt, ansonsten wird Samstagvormittag auf der Place Parmentier verkauft.

Heutzutage sind die Hortillonages vor allem auch ein Naherholungsgebiet für die Amiénois, wo man joggt Rad fährt oder einfach Ruhe und Naturerlebnis sucht. Die reiche Flora und Fauna begründet den ökologischen Ruf der Wassergärten. Erlen, Seegras und Schilf säumen die Kanäle, die von Juni bis September gelb blühenden Heusenkräuter und weiße oder rosa Wasserlilien bevölkern die Wasseroberfläche. Es gibt aber auch seltenere Pflanzen wie Knabenkraut oder Sumpf-Haarstrang. Vogelliebhaber können Zwergdommeln, Wiedehopfe oder Blaukehlchen beobachten, und natürlich schwimmen Stockenten und Schwäne auf dem Wasser umher.

Mit dem Boot durchs grüne Labyrinth

Um die Hortillonages zu entdecken, empfiehlt sich eine Bootsfahrt mit einer der traditionellen Barken. Während der Fahrt gibt der Führer Erklärungen auf Französisch und schiebt dabei das Boot mit einem langen Stab an. Ab dem Maison des Hortillonages kann man solche Fahrten unternehmen. Da nur zwölf Personen Platz finden, empfiehlt sich eine frühzeitige Reservierung. Unabhängig von irgendwelchen Zeiten ist man, wenn man sich ein Ruderboot ab der Auberge du Vert Galant oder ein Motorboot ab dem Musée des Hortillonages ausleiht.

Entlang des ehemaligen Treidelpfades, Chemin de halage, kann man das Gebiet entlang der Somme bis nach Camon wunderbar erkunden – sowohl zu Fuß als auch mit dem Fahrrad. Eine kleinere Runde kann man von der Maison des Hortillonages durch den Parc Saint-Pierre bis ins Saint-Leu-Viertel drehen.

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Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer PICARDIE von Heike Bentheimer.

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