Potsdam

Babelsberg entdecken: die Weberkolonie Nowawes

Ein einstöckiges gelbes Haus mit hohem Dach und grünen Fensterläden, davor ein großer Baum
Heute sind noch rund 100 historische Kolonistenhäuser erhalten (© Sabine Fach)

Im Süden vom Park Babelsberg liegen rund um den Weberplatz und den Neuendorfer Anger die historischen Siedlungskerne von Babelsberg. Bereits 1375 wurde der Weiler Neuendorf erstmals erwähnt. Knapp 400 Jahre später entstand dann auf Order Friedrichs des Großen die Weberkolonie Nowawes. 1750 beauftragte der König seinen Oberst Wolf Friedrich von Retzow mit dem Bau eines »Etablissements«, das protestantische Weber und Spinner aufnehmen könne, die als Glaubensflüchtlinge von Böhmen in die Mark gelangt waren.

Also setzte von Retzow für die Anwerbeaktion einen Aufruf auf, der die nachgefragten böhmischen Handwerker dazu bewegen sollte, nach Potsdam zu kommen. Von 1751 bis 1754 wurde auf der Neuendorfer Flur in unmittelbarer Nähe zum alten slawischen Rundlingsdorf Neuendorf für gut 300 Kolonistenfamilien gebaut. Um den dreieckigen Weberplatz herum wuchsen in Fachwerkbauweise eingeschossige kleine Doppelhäuser aus dem Boden empor. »Schmucklos, aber doch liebenswürdig: überdachte Häuschen mit wunderhübschen Rokoko- oder Empiretüren und amüsant geteilten, hundertfach wechselnden Einteilungen der Oberlichter über den Türen«, wie sie 1926 Georg Hermanns in seinem Spaziergang in Potsdam beschreibt.

Eine jede Familie, die sich in der auf »Böhmisch Neuendorf« getauften Siedlung niederließ, erhielt eine Haushälfte und dazu eine Gartenparzelle. Im Mittelpunkt errichtete des Königs Baumeister Jan Bouman 1753 die Friedrichskirche, einen achteckigen Saalbau mit steilem Walmdach. Die Gottesdienste wurden überwiegend in Tschechisch gefeiert, und auch der Name »Böhmisch Neuendorf« hatte nicht lange Bestand. Schnell wich er der Bezeichnung »Nowawes« (tschechisch Nova Ves für »Neuendorf«).

Die ungewöhnliche dreieckige Platzform ist möglicherweise religiös motiviert und geht auf das Comenius-Dreieck zurück. Ein solches Dreieck veranschaulicht grafisch die Philosophie des letzten Bischofs der böhmischen Brüdergemeinde, Johann Amos Comenius (1592–1670): Denken, Reden und Handeln als die drei Spitzen eines gleichschenkligen Dreiecks verschmelzen miteinander zum Wesentlichen.

Dagegen nimmt sich die Sage, die von der Platzgründung geht, eher praktisch aus: Auf die Frage, wie er denn aussehen solle, habe Friedrich der Große seinen Dreispitz auf den märkischen Boden geworfen und befohlen: »So soll er werden!« Zwischen 1764 und 1767 wurde Nowawes um weitere 55 Kolonistenhäuser vergrößert. Rund 100 von ihnen sind heute insgesamt noch erhalten. Und auch die Straßennamen Tuchmacher-, Wolle-, Jute-, Spindel- oder Garnstraße in schöner Lage am Parkrand erzählen vom Ursprung von Nowawes.

Ein historistisches Ziegelgebäude mit Uhrturm an einer Straßenecke
Einst Babelsberger Rathaus, heute Kulturtreff (© Kulturhaus Babelsberg/CC BY-SA 4.0)

Elend und Niedergang

Doch so idyllisch, wie sich der Ortsteil mit seinen denkmalgeschützten niedrigen Häuschen heute ausnimmt, war er lange Zeit nicht. Zumeist regierte Schmalhans als Küchenmeister im Weberdorf. Die Bedingungen für die Textilhandwerker waren hart, das Spinnen und Weben eine brotlose Kunst. Und auch die Seidenraupenzucht als zweites wirtschaftliches Standbein brachte kein Glück.

1000 Maulbeerbäume, deren Blätter den Seidenspinnerraupen als Futter dienen, hatte Friedrich II. bei Nowawes pflanzen lassen. Allerdings mochten die Bäume den märkischen Sandboden und das im Winter oft raue Klima nicht. Mehr noch erwiesen sich besonders die Seidenspinnerraupen als heikel. Für ihre arbeitsintensive Aufzucht werden spezielle Räumlichkeiten benötigt, in denen weder Zugluft noch schwankende Temperaturen, Lärm oder grelles Licht herrschen dürfen – Bedingungen, wie sie in Nowawes nirgends gegeben waren.

Schon bald nach der Gründung genoss die Kolonie – gewiss auch wegen der Armut der Weber – einen zweifelhaften Ruf. Wie den Caputhern weiter südlich am Schwielowsee sagte man auch den Nowawesern nach, sie würden klauen wie die Raben. Selbst König Friedrich II. soll sich sicher gewesen sein: »Und wenn mir meine Feinde auch mein ganzes Land nehmen, meine Caputher und Nowaweser stehlen es mir in einem Jahr wieder zusammen.«

Zur wirtschaftlichen Verelendung trug vollends die industrielle Textilproduktion bei, die 1830 mit der Entwicklung der ersten vollständig selbsttätigen Spinnmaschine in England ihren Anfang nahm. In den Kämpfen der Revolution von 1848 waren die Weber von Nowawes in Potsdam an vorderster Front mit dabei.

Von der Weberkolonie zur Arbeitersiedlung

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchte man dann, ihrer Not durch eine bessere Ausbildung an modernen Geräten beizukommen. Textilfabriken entstanden, 1852 eine erste Nähseidenfabrik, nach 1860 weitere Industriebetriebe, darunter Jute- und Kammgarnspinnereien, Teppich-, Tuch-, Sack- und Zeltfabriken. Um 1900 folgten weitere Industrieansiedlungen wie Eisengießerei und Lokomotivfabrik. Nowawes entwickelte sich zur Arbeitersiedlung.

1904 wird es mit dem benachbarten Neuendorf zu einer Gemeinde vereint und diese 1938 mit der vornehmen Villenkolonie Neubabelsberg am nahen Griebnitzsee zur Stadt Babelsberg zusammengelegt.

Der Spaziergänger Georg Hermanns notiert 1926: »Birken, Kiefern, Trockenheit, ein Stückchen Moor und sandige Wege, und bald tanzen so die ersten Weberkaten von Nowawes – ein absonderlicher Name! – vorbei.« Durch die Zusammenlegung 1938 ist der »absonderliche« slawische Name Nowawes, an dem besonders die Nationalsozialisten Anstoß nehmen, für längere Zeit ausgelöscht. Nur ein Jahr später wird die frischgebackene Stadt Babelsberg nach Potsdam eingemeindet.

Das vormalige Rathaus an der Karl-Liebknecht-Straße/Ecke Rudolf-Breitscheid-Straße erbaute Otto Kerwien 1898 bis 1900 in historistischer Manier. Es fungiert bereits seit DDR-Zeiten als kultureller Treff, heute als Kulturhaus Babelsberg.

In der Karl-Liebknecht-Straße 23 ist in einem Kolonistenhaus aus dem Jahr 1752 die Weberstube Nowawes untergebracht. Anhand von Bildern, Dokumenten und historischen Ausstellungsstücken bietet es einen Ausflug in die Geschichte von Babelsberg, die einmal mit dem Weiler Neuendorf und der Weberkolonie Nowawes begonnen hat. Wenige Schritte entfernt findet sich mit der Hausnummer 28, ebenfalls von 1752, das ehemalige Pfarrhaus der böhmischen Weber.

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Dieser Textauszug stammt aus dem Trescher-Reiseführer POTSDAM von Kristine Jaath.

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